„Mein Ziel ist es, dass Diversität zur Normalität wird“

Vielfalt im deutschen Film – dazu hat die FilmFacts-Redaktion recherchiert! So ist eine Interviewserie entstanden, die nun wöchentlich erscheint. Den Anfang macht Tyron Ricketts – ein Gespräch über die Rolle von PoC.

Porträt und Zitat von Tyron Ricketts
Tyron Ricketts setzt sich für Gleichberechtigung ein. | Quelle: Tyron Ricketts

Im vergangenen Jahr hat die MFG eine umfangreiche Diversitäts-Studie der Initiativgruppe „Vielfalt im Film“ mitfinanziert. Zu ihren persönlichen Erfahrungen wurden über 6.000 Filmschaffende in Deutschland befragt. Die im Frühjahr veröffentlichten Ergebnisse sind eindeutig: Diskriminierung durchzieht die Branche. In der aktuellen Ausgabe der FilmFacts berichten wir ausführlich zu diesem Thema und legen den aktuellen Entwicklungsstand dar. Dafür haben wir u. a. Interviews mit Vertreter*innen der Initiativgruppe und anderen Branchenmitgliedern mit unterschiedlichen Vielfaltsbezügen geführt.

 

TYRON RICKETTS ist Schauspieler, Regisseur und Filmproduzent. Er setzt sich seit Jahren für neue Erzählperspektiven im deutschen Film und für Geschichten mit dem Fokus auf Personen of Color ein. Dafür hat er seine eigene Produktionsfirma „Panthertainment“ reaktiviert.

 

Konnten Sie im Lauf ihrer Karriere selbst Defizite in Fragen der Gleichberechtigung und Vielfaltstoleranz feststellen?

Ich habe in über 50 bis 60 Filmen gespielt und in 80 Prozent der Fälle war meine Rolle die des ‚Anderen‘. Ich war nie Teil der deutschen Gesellschaft. Ich war der Amerikaner, der Engländer, der Geflüchtete. So transportiert die deutsche Film- und Fernsehlandschaft eine Welt, die in einer Diskrepanz steht zu dem was die Gesellschaft in Deutschland tatsächlich ist. Wir haben 26 Prozent Migrationsanteil in Deutschland – und auch wir zahlen die Rundfunkbeiträge. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch undemokratisch.

 

Wie kommt es ihrer Meinung nach zu dieser Verzerrung?

Alltagsrassismus schließt auch die Filmbranche nicht aus. Es wird besonders spannend, wenn du eine klischeebesetzte Rolle spielen sollst, in deren Entwicklung du nicht eingebunden warst. Wenn man als Darsteller am Set dann noch eingreifen oder etwas verändern möchte, führt der zeitliche Druck zu sehr unangenehmen Situationen. Ich habe selbst Sätze gehört wie: ‚Na schön, das mag rassistisch sein. Aber wenn du es nicht machst, macht es eben ein anderer’. Der Druck ist sehr hoch und bei einem ohnehin schon eingeschränkten Rollenangebot möchten gerade junge Schauspieler nicht als unbequem und anstrengend gelten.

 

Und wie könnte man dem entgegenwirken?

Dass so etwas erst am Set besprochen wird – soweit sollte es natürlich erst gar nicht kommen. Dem geht ein strukturelles Problem auf anderen Entwicklungsstufen voraus. Diversität muss in allen Produktionsbereichen gelebt werden, zum Beispiel auch schon im Writer’s Room. Nur so haben wir eine Chance und es lässt sich verhindern, dass Klischees reproduziert werden. Es fehlt an Diversität in der gesamten Wertschöpfungskette. Man glaubt, es verstanden zu haben, holt sich aber keine Menschen, die es wirklich wissen weil sie es erlebt haben ins Team.

 

Hat sich seit Publikation der Studie „Vielfalt im Film“ bereits etwas getan?

Schon seit der Popularität der „Black Lives Matter“-Bewegung tut sich viel. Dank der Studie haben wir nun Zahlen. Man argumentiert jetzt nicht mehr mit einem wagen Gefühl, sondern mit konkreten Belegen dafür, wie viele Menschen sich diskriminiert fühlen. So können wir Forderungen stellen.

 

Können Sie ein positives Beispiel für diese Entwicklung nennen?

Der Film ‚Borga' ist ein gelungenes Beispiel für eine authentische Erzählperspektive, doch er ist aktuell noch eine Ausnahme. Der Wille zu Diversität ist da, aber es scheitert an den bis heute sehr homogenen, männlich-weißen Strukturen.

 

Ein Umdenken findet also statt, der Wille ist da. Was hemmt aus ihrer Sicht die nötigen Veränderungen?

Durch die Digitalisierung haben sich Zielgruppen und Marktlage verändert. Weil man nun auch internationaler produziert, wird etwas anderes gefordert: Global gesehen sind nur 30% der Menschen weiß, 50% sind Männer. Daraus entstehen auch neue wirtschaftliche Zwänge. Allerdings geht die entsprechende Marktanpassung bei den Streamingdiensten natürlich schneller als bei den deutschen Sendeanstalten, die noch sehr in alten Strukturen verhaftet sind. Für sie ist das eine große Umbauherausforderung und es dauert lange, bis ein signifikant anderes Ergebnis erzielt wird. Stellen müssen sukzessive und organisch neu besetzt werden. Der Ansatz muss dabei aus einem Selbsterhaltungstrieb der Sender kommen. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, sich dem Interesse anzupassen. Sie müssen es hinbekommen junge Leute zu begeistern – sonst schaffen sie sich selbst ab.

 

Welche konkrete Maßnahme wünschen Sie sich, um die Situation unmittelbar zu verbessern?

Um eine Struktur zu verändern, musst du Weichen stellen. Es braucht Leitplanken, es geht nicht nur durch Good Will. Quoten und Vorgaben sind Krücken, die man natürlich in einer idealen Welt nicht bräuchte. Aber in dieser Welt leben wir nicht und bis es soweit ist braucht es Maßnahmen, die diese Ungerechtigkeit ausgleichen. Von wo sie kommen sollten? Im Idealfall von dort, wo das Geld herkommt. Denn dort können auch die Bedingungen vorgeschrieben werden.

Auch das Einführen von Checklisten halte ich für sinnvoll. In Großbritannien wird mit den Diversity Standards des British Film Institute gearbeitet. Dort müssen Diversitätsdimensionen im Laufe der Produktion erfüllt werden, wobei Produzent*innen frei die Bereiche wählen und eigenständig skalieren können.

 

Wo wünschen Sie sich noch Veränderung?

Mein Ziel ist es, dass Diversität zur Normalität wird und alle davon profitieren. Viele Leuten betrachten es noch immer als Bürde oder Anstrengung, aber das ist die falsche Perspektive. Es ist wichtig da aufzuklären!

 

Das Gespräch führte Katrin Sikora.

  Aktuelle Ausgabe der FilmFacts: Close Up

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