Wer spielt mein Spiel?

Warum die Zielgruppenfrage bei Serious Games besonders wichtig ist. Die Teams von HOLA Serious Games geben Einblicke in die Spieleentwicklung

HOLA-Team beim Brainstormen
Entwickeln ein Semester lang Serious Games: Die HOLA-Teams treffen sich regelmäßig | Bild: MFG Baden-Württemberg

Wenn ein neues Spiel entwickelt wird, stellt sich gleich zu Beginn eine zentrale Frage: Für wen wird es gemacht? Welche Zielgruppe soll das Game erreichen und in seinen Bann ziehen? Sind es Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, Best Ager oder Silver Surfer? Werden erfahrene Spieler*innen angesprochen oder Menschen, die keine oder kaum Erfahrung mit dem Medium Games haben? 

Während die Entwickler*innen klassischer Games oft ganz nah an ihrer Zielgruppe dran sind, selbst auf Steam zocken oder sich Wartezeiten routinemäßig mit Casual Games für zwischendurch verkürzen, haben es die Entwickler*innen von Serious Games schwerer. Denn deren Einsatzbereiche liegen teilweise weit weg von Gaming Communitys. Oft wollen sie Menschen erreichen, für die Games kein selbstverständlicher Teil ihres Lebens sind, zum Beispiel wenn sie eine medizinische Behandlung oder Therapie unterstützen.

Ernste Spiele, große Herausforderungen

Dass bei Serious Games die Zielgruppe oft einen Teil der Gesellschaft abdeckt, die wenig bis gar nichts mit Videospielen zu tun hat, ist eine große Herausforderung. Diese Menschen können mit den Konventionen, die regelmäßigen Gamer*innen vertraut sind, nichts anfangen, und müssen entsprechend anders abgeholt werden.

„Für manche Games-Entwickler*innen ist es schwer vorstellbar, dass es Menschen gibt, für die Spielen kein selbstverständlicher Modus ist“, sagt Andrea Buchholz, die das Programm HOLA Serious Games bei der MFG Baden-Württemberg leitet. „Dennoch geht es um ‚echte‘ Games, die Spielspaß bringen. Und dabei auch noch etwas bewirken sollen bei ihrer Zielgruppe. Das sind eine ganze Menge Herausforderungen auf einmal.“

Weil sie darauf ausgelegt sind, das Bewusstsein nachhaltig zu verändern, sind Serious Games noch mehr von einer genauen Definition ihrer Zielgruppe abhängig als „nur“ unterhaltende Spiele. Mit altbekannten soziologischen Kategorien wie Alter, Bildung oder Geschlecht kommt man hier nicht unbedingt weiter, sondern muss genauer hinschauen. Das haben auch die Teams bei HOLA Serious Games festgestellt.

Konkrete Ideen, klare Ziele

Mit ihren Serious Games wollen die Teams bei einer sehr spezifischen Gruppe von Menschen etwas bewirken. Sie bearbeiten ein Problem bzw. eine konkrete Fragestellung, die eine ganz bestimmte Zielgruppe weiterbringen soll. Das Team Ludomusicology erleben möchte beispielsweise Studierenden den Mehrwert von Musik in Spielen näherbringen. Ihr Serious Game ist somit klar auf Studierende, also junge Erwachsene mit Bildungshintergrund ausgelegt. 

Beim Team It takes more than one hingegen liegt die Sache schon anders. Im Zuge von HOLA Serious Games entwickeln die Studierenden ein Spiel, das das Entstehen von zwischenmenschlichen Beziehungen sichtbar und erlebbar macht. Dafür brauchen sie eine konkrete Vorstellung davon, was ein Serious Game am Ende genau sein soll. Je genauer ein Team das Ziel der Entwicklung umreißt, desto leichter ist es auch, die eigentliche Zielgruppe zu definieren. Ein Team von Entwickler*innen sollte sich die Frage stellen: „Was sind die Bedürfnisse der Personen, was möchte man für die Personen erfüllen, für die man entwickelt?“, findet Kim vom Team It takes more than one. Anstelle von Kategorien stehen hier Bedürfnisse im Vordergrund.

Ran an die Zielgruppe – aber wie?

Wie aber verstehe ich diese Bedürfnisse? Wie tauche ich in eine andere Lebenswelt ein? Wie durchdringe ich den Alltag anderer Menschen? Für das HOLA-Team Raus aus dem Cave – zurück ins Glück ist das DIE zentrale Frage. Die Idee ist, Menschen nach dem isolierten Leben in der Corona-Pandemie wieder Freude an sozialen Kontakten zu vermitteln. Viele Menschen haben während der Pandemie ein „Cave Syndrom“ entwickelt. Dabei wird aus der anfänglich erzwungenen Isolation und der Rückzug aus dem sozialen Leben ein dauerhafter Zustand. Um sie zu erreichen, ist ein besonders sensibles Vorgehen gefragt. In diesem speziellen Fall kann sich auch die Beratung durch externe Expert*innen wie Therapeut*innen als hilfreich erweisen. 

Generell sind Zielgruppeninterviews und die Entwicklung von fiktiven „typischen“ Personas geeignete Instrumente, um die Bedürfnisse und Vorlieben der eigenen Zielgruppe kennenzulernen und auch später immer wieder abzugleichen. Neben psychischen Faktoren können auch physische zum Tragen kommen. Diese Erfahrung machte das Team VR Trail Walking, das ein Virtual-Reality-Spiel zur Sturzprävention entwickelt. Da vor allem Erwachsene ab 65 unter erhöhtem Sturzrisiko leiden, definierte das Team 45- bis 65-Jährige als Zielgruppe. In diesem Altersbereich soll das Spiel präventiv wirken, ohne dass körperliche Probleme die Umsetzung der Aufgaben im Game zu sehr beeinträchtigen. 

Gefragt: Mut zur Eingrenzung

Eine besonders schwere Entscheidung müssen Entwickler*innen treffen, wenn ihre Spielidee prinzipiell für alle gedacht ist, wie beim HOLA-Team Spielend die Welt verändern, das die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen mit Hilfe von Games vermitteln möchte. Auch sie sind gut beraten, sich auf eine Kernzielgruppe festzulegen. So wird sich das Team auf junge Erwachsene konzentrieren, weil es durch seine Interviews herausgefunden hat, dass das Wissen über die Nachhaltigkeitsziele in dieser Zielgruppe besonders niedrig, das Interesse gleichzeitig aber hoch ist. 

Gerade unterschiedliche Altersgruppen stellen ganz andere Anforderungen an das Game Design, etwa welches Wissen vorausgesetzt werden kann oder wie komplex die Aufgabenstellung sein darf. Im Fall von Serious Games, die in alltäglichen Abläufen zum Einsatz kommen, kann außerdem noch ein Anspruch an die körperliche Fitness hinzukommen. Müssen die Protagonist*innen des Spiels etwa Aufgaben mit Geschicklichkeit oder Reaktionsvermögen lösen, können Aktivitäten, die für eine zu breite Zielgruppe entworfen wurden, ältere Menschen über- und junge unterfordern. Zudem können alltägliche Eigenschaften der Spielenden wie Kommunikationsfähigkeit oder logisches Denken für die Wahl der Zielgruppe entscheidend sein.

Das Finden der Zielgruppe ist ein entscheidender Schritt in der Spieleentwicklung. Bei Serious Games umso mehr, da man bei dieser Gruppe auch einen tatsächlichen Effekt erzielen möchte. Nur mit einem guten Verständnis der Zielgruppe kann sichergestellt werden, dass am Ende ein Serious Game herauskommt, das beim Publikum ankommt und hier wirklich etwas bewirkt. Einblicke in ihre Erfahrungen geben die jungen Spieleentwickler*innen von HOLA Serious Game am 27. Januar in THE CREÄTIVE HOUSE im Haus der Wirtschaft in Stuttgart. Bei der Veranstaltung „​​​​​​Spielend die Welt verändern – Der Prototypen-Check hat das Publikum die Möglichkeit, die Games selbst zu testen und Feedback zu geben.

Text: Maximilian Becker / Ines Goldberg

Mehr Infos:

Was sind eigentlich Serious Games?
HOLA Serious Games
Spielend die Welt verändern – Der Prototypen-Check

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Kontakt

Dr. Andrea Buchholz
Dr. Andrea Buchholz

Leiterin Projektteam Talent- und Forschungsförderung

Unit Kultur- und Kreativwirtschaft