#bwbleibtkreativ: Kickoff für das virtuelle Messegeschäft

Der virtuelle Raum ist die neue Bühne. Die Kreativität, mit der das Messegeschehen hierhin verlagert wird, eröffnet Perspektiven für die Zukunft

Statt am Messestand stehen die Mitarbeiter*innen von Balluff dieses Jahr im Studio, um die Takes für die virtuelle Messe des Unternehmens aufzunehmen | Quelle: Balluff

Vom 25. bis 26. Juni sollte in den Stuttgarter Wagenhallen eigentlich die XR Expo stattfinden. Doch im März war klar, dass die Trendmesse für virtuelle Realität abgesagt werden musste. „Wir wurden kalt erwischt“, sagt Messeorganisatorin Anca Braedt-Lautmann von der Stuttgarter Tech- und Medien-Agentur Lightshape.

Schnell war allerdings auch klar, dass man sich so leicht nicht geschlagen geben wollte. Gerade den Experten für die virtuelle Welt müsse es doch gelingen, ihr Event irgendwie in ebendiese zu verlagern, so der Gedanke. Schnell wurden Event-Apps und virtuelle Messeplattformen gecheckt. Heute steht fest: Die XR Expo wird zum geplanten Termin stattfinden. Über die Messe-Website werden Besucher an unterschiedlichsten Events teilnehmen können, ob Zoom-Call oder VR-Session. „Die Aussteller bekommen von uns Slots zur Verfügung gestellt“, sagt Anca Braed-Lautmann. „Mit welchen virtuellen Formaten sie diese füllen, entscheiden sie selbst.“ Highlight könnte ein virtuelles Get Together werden, bei dem sich die Gäste als Avatare durch den Raum bewegen und echtes Community-Feeling herrscht.

Dies ist jedoch noch ungewiss. Unter anderem müssen dafür Sponsoren gefunden werden. Denn das Ganze ist nicht nur technisch und organisatorisch, sondern auch wirtschaftlich ein Kraftakt. Und ein Experiment: „Wir werden zu hundert Prozent von der Technik abhängig sein.“ Was Braedt-Lautmann besonders freut: Viele der rund 60 Aussteller der realen Messe stehen hinter dem Konzept. „Sie freuen sich richtig darauf, denn ihnen sind viele Events weggebrochen.“

„Die Menschen wollen kommunizieren“

Das stellt auch Sven Deckert fest. „Die Menschen müssen nicht nur kommunizieren, nein, sie wollen es unbedingt“, sagt der Geschäftsführer der Mannheimer Eventagentur Vaelju. Deckert findet es daher „fast schon großartig, dass wir jetzt alle gezwungen werden, in die Zukunft zu schauen.“ Normalerweise führt Vaelju für große Firmenkunden Live-Events durch. Doch derzeit geht es nur ums Digitale. Und darin sieht der Eventprofi „eine große Chance für die Customer Journey“. Leider hätten aber fast alle Kunden die gleiche Idee, nämlich ihre Messe oder ihr Event möglichst eins zu eins ins Internet zu verlegen. Doch das sei zu kurz gedacht, glaubt Deckert. Für einen weltweiten IT-Konzern mit zahlreichen Branchen und Ländergesellschaften etwa baue Vaelju gerade eine virtuelle 3D-Eventplattform auf, in der künftig nicht nur eine Tagesveranstaltung stattfinden soll, sondern zahllose Events über das ganze Jahr – eben eine „echte“ digitale Kundenbeziehungswelt.

„Für uns alle hat sich die Arbeitswelt gerade massiv verändert“, so Deckert. Niemand wolle oder könne vom Homeoffice aus acht Stunden einem Online-Event lauschen. Daher gelte es, das aufzubrechen – zeitlich, aber auch inhaltlich, in kleine Häppchen wie Breakout Sessions, Themenräume oder Eins-zu-Eins-Chats. Für Deckert ist klar: Wir müssen uns von der Präsenzmesse lösen und die Besucher das ganze Jahr über begleiten. So macht es beispielsweise die gecancelte FMX Conference in Stuttgart, die nun ein Online-Programm bis Jahresende auf die Beine gestellt hat.

Interaktive Messestände virtuell nachbauen

Für Maximilien Schmierer, Geschäftsführer der Stuttgarter Digitalagentur B-Rex, geht es indes erst einmal darum, das reale Messegeschehen möglichst gut virtuell nachzubauen. B-Rex digitalisiert unter anderem Exponate für Messen. „Doch mit Corona kamen Anfragen nach Digitalisierung ohne Messe, dann nach ganzen Messen“, sagt Schmierer. Seit März programmiert B-Rex nun eine eigene Messeplattform namens Munis. Hier können CAD-Daten von Exponaten und Messeständen einfach hochgeladen werden. Pilotveranstaltung soll die Dienstleistungsmesse einer großen deutschen Messegesellschaft werden, die bislang noch nicht abgesagt ist. „Kommt die Absage, lässt sich gleich die virtuelle Alternative präsentieren“, so Schmierer – mit 3D-Ständen, Vorträgen, Webinaren und Chats. Für Schmierer ist klar: Um Leads, also qualifizierte Kontakte, zu generieren, muss die virtuelle Messe einen kommunikativen Mehrwert bieten. „Interaktiv“ und „Live“ sind für ihn dabei Kernelemente.

Selbst aktiv werden statt warten

Unterdessen wird manch ein Unternehmen auch aus der Not heraus zum Messeveranstalter. Der Automatisierungsdienstleister Glaess aus Weingarten etwa stellt normalerweise auf der All about Automation in Friedrichshafen aus. Nach deren Absage hat der IT-Anbieter, der bereits selbst unter der Marke Technology of Meetings (ToM) eine virtuelle Messe-Software des Anbieters Tricat aus Ulm nutzt, auf dieser Basis für 20. Mai die More Automation ins Leben gerufen. Die digitale Messe soll mit Ausstellern wie Siemens, Bosch oder dem Fabrikroboter-Anbieter Fanuc starten.

Andere Aussteller haben gestrichene Messen kurzfristig durch eigene Kundenevents ersetzt. Für den Automatisierungsspezialisten Balluff aus Neuhausen auf den Fildern etwa ist die Hannover Messe eine wichtige Schau. Nach deren Absage hatte Balluff mit der Agentur Communication Consultants aus Stuttgart eine eigene Veranstaltung aufgesetzt, mit neun Stunden Livestreaming, gut 30 Experten-Talks und Eins-zu-Eins-Beratung. Der Clou: Angefangen am Firmensitz bei Stuttgart führte die virtuelle Firmenschau mit der Zeitverschiebung in verschiedenen Sprachen einmal rund um die Welt. Dazu waren fast 130 Mitarbeiter im Live-Einsatz. Ein positiver Nebeneffekt: Noch nie hatte das Unternehmen in so kurzer Zeit so viel Content auf einmal produziert. Und kostengünstiger als eine echte Messe ist die virtuelle Alternative allemal.

Doch es müssen nicht immer die aufwendigen Highend-Lösungen sein, mit denen man während des Messe-Shutdowns in Kontakt bleiben kann. Kleine Produktschauen etwa haben ihre Aussteller einfach gebeten, ihre News in Youtube-Filmchen zu präsentieren, und diese dann online gestellt. Der Überlinger Biogroßhändler Bodan etwa hat eine Weinverkostung einfach per Zoom abgehalten. Zuvor hatten alle Teilnehmer das zugehörige Weinpaket nach Hause bekommen.

Zeit für Experimente!

„Jetzt ist die Zeit, solche Dinge auszuprobieren“, findet auch B-Rex-Chef Schmierer. Denn das könne „durchaus charmant und sympathisch rüberkommen“. Er selbst plant, die Munis-Plattform künftig auch als Mietlösung für solch kleine Events anzubieten. Vaelju-Chef Deckert sieht kleine Unternehmen generell im Vorteil, da sie schneller und flexibler agieren können. Sein Tipp: Es gibt bereits Plattformen für virtuelle Events, etwa Hey Summit aus London, über die man „für kleines Geld prima mit seiner Community in Kontakt bleiben kann“.

Quelle: Jürgen Baltes, textbar

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