Die Kultur- und Kreativwirtschaft mit ihren vielen Kleinunternehmen und Selbstständigen zählt zu den Branchen, die von den Auswirkungen der Corona-Krise besonders hart getroffen werden. Das gilt nicht nur für Bühnenkünstler*innen, die nicht mehr auftreten dürfen, oder Eventagenturen, die plötzlich ohne Veranstaltungen dastehen. Vielen Start-ups und Kleinstunternehmen, Agenturen und Freischaffenden brechen die Aufträge weg – und damit nicht nur die Planungssicherheit, sondern gleich die Existenzgrundlage, denn die wenigsten können auf große Rücklagen zurückgreifen.
Für die Überbrückung der Krise werden derzeit finanzielle Hilfsmittel bereitgestellt. Gleichzeitig ist Umdenken gefragt – denn keine*r weiß genau, mit was für Zeiträumen wir es eigentlich zu tun haben. Kreative tun gut daran, jetzt an ihren Geschäftsmodellen zu feilen, sich digitale Ergänzungen und Alternativen zu ihren Angeboten zu überlegen. Gerade flexibel Denkende und Kreativköpfe mit ungewöhnlichen Ideen sehen vielleicht Wege aus der Krise, die anderen nicht so schnell einfallen.
In der Interviewreihe „Kreativ arbeiten in Krisenzeiten“ fragt die MFG-Redaktion Kultur- und Kreativschaffende aus Baden-Württemberg, wie sie mit der Krise zurechtkommen und an was für Lösungen sie gerade arbeiten. Den Anfang macht Mike Wutta, Geschäftsführer der trend factory in Rottweil. Die Live-Kommunikationsagentur betreibt mit dem Kraftwerk in Rottweil eines der angesagtesten Veranstaltungsareale Deutschlands und betreut als Eventagentur KMUs und Konzerne. Die Interviewreihe ist Teil der crossmedialen MFG-Kampagne „BW bleibt kreativ“.
Was ist aktuell das größte Problem – für euch, für die Kreativbranche?
Sicher der Full Stop, die Umstellung von 100 auf 0 sozusagen. Es gleicht einem „Berufsverbot“, fast so einschneidend, wie wenn man Google das Internet abschalten würde. Zu schaffen macht uns auch die unklare Dauer der Situation. Man hat kein Gefühl dafür, mit was als nächstes zu rechnen ist, diese Ungewissheit lähmt alle möglichen Projekte und verhindert eine konkrete Aussicht, wie es wann weitergehen könnte.
Es braucht zeitnah eine Art Masterplan und dabei Ehrlichkeit, was zu erwarten ist – die Unklarheit verschärft die Situation für alle, für Kunden genauso wie Anbieter. Aktuell ist es extrem schwer bzw. fast unmöglich, sich auszurichten und die Zeit nach Corona zu planen.
Wie geht ihr damit um?
Wir haben sehr schnell, aber vor allem so ruhig und besonnen wie möglich gehandelt und uns darauf eingestellt, dass die Situation sich täglich ändert. Flexibilität und Geschwindigkeit sind das, was unser Geschäft und unser Team ausmacht, was es für etwas einfacher, aber insgesamt sicher nicht leicht macht. Wichtig ist zum einen die offene und ehrliche Kommunikation ins eigene Team, zum anderen aber auch aktuelle Infos für Kunden und Partner: Was tun wir, wie reagieren wir etc.
Welche Art der Unterstützung hilft euch am meisten?
Ich glaube, dass Kredite nicht zwingend zielführend sind, wir befürworten eher eine Art Steuererlass, direkten Zuschuss oder Ähnliches. Der Steuererlass auf die Zukunft wird allerdings oft nicht helfen, da erstmal nicht mit Umsätzen zu rechnen ist. Hier erwarten wir, dass die Politik kreative Ansätze entwickelt.
Gestützt werden sollten vor allem diejenigen, die ein funktionierendes Geschäftsmodell haben und jetzt durch einen externen Schock ohne jegliche Vorwarnung getroffen wurden – und zum Beispiel nicht vorher schon mit einer schleichenden Rezession zu kämpfen hatten. Es geht ja aktuell nicht um Einbußen von 10 oder 20 Prozent, sondern um einem Fall von 100 auf 0 Prozent, was den Umsatz betrifft. Hier wird sonst viel verbrannte Erde hinterlassen. Schließlich sind die persönliche Kommunikation, sozialer Kontakt und überhaupt Interaktion – egal ob privat, beruflich oder kulturell – ein menschliches Grundbedürfnis und digital auf Dauer nicht zu ersetzen.
Welche neuen Wege geht ihr?
Wir haben Lust auf Zukunft, sind neugierig und veränderungsfähig, das hilft sicher. Diese Woche haben wir für SAP einen real geplanten Event als virtuellen Stream umgesetzt. Es lief sehr gut, wir haben hervorragendes Feedback bekommen. Die aktuelle Umbruchsituation ist ja auch eine Chance, Neues auszuprobieren – wenn nicht jetzt, wann dann!
Es ist zwar davon auszugehen, dass bald so viel gestreamt wird, dass es schnell zu einem Überangebot kommt. Dann kann sich in diesem Bereich aber auch Qualität durchsetzen. Gefragt sind ein gutes Gefühl für Formate, Dauer und Art des Contents. Denn man ist am Bildschirm eben auch schnell „weg“.
Woran arbeitet ihr sonst gerade?
Wir haben unterschiedliche Ansätze. Zum einen optimieren wir Themen, die schon länger auf Eis liegen, zum anderen versuchen wir, an die Zukunft zu denken: Welche Formate, Plattformen und Konzepte werden sich in der Zeit nach Corona durchsetzen? Uns ist es auch sehr wichtig, mit unserer Community in Kontakt zu bleiben – B2B und B2C. Und dann schauen wir auch ganz konkret, wie wir in den nächsten Wochen zumindest etwas „Deckungsbeitrag“ generieren können.
Wie erlebt ihr den Austausch innerhalb der Kreativwirtschaft? Welche Chancen siehst du aktuell für die Zukunft der Branche?
Viele fühlen sich in einem Boot, aber es herrscht auch sehr viel Unsicherheit. Insgesamt wird sich die Kreativbranche drastisch verändern (müssen). Neue Formate entstehen und es wird auch eine ganz andere Landschaft von Anbietern geben. Wie sich das auf Qualität und Preise auswirkt, ist noch nicht abzusehen. Man spürt eine starke Angespanntheit, da es für fast alle wenig alternative Umsatzmöglichkeiten gibt und die aktuelle Phase (zu) lange anzuhalten scheint.
Gleichzeitig wird aber auch deutlich, wie wichtig Vertrauen ist, und dass gute Geschäftsbeziehungen und Partnerschaften sich auszahlen. Künftig wird der Bereich der Beratung sicher noch an Relevanz gewinnen.
Welche Rolle haben aktuell die sozialen Medien? Tragen sie vielleicht auch zur Solidarisierung bei und machen die Initiativen der Kreativen besser sichtbar?
In Bezug auf Corona sind die sozialen Medien sicherlich Durchlauferhitzer. Auf der anderen Seite ist es aber auch hilfreich, sich über Plattformen wie Twitter und Instagram zu „verbünden“ – auch um zu sehen, wer welche Idee hat und sich zu neuen Entwicklungen auszutauschen. Es wäre gut, wenn die Initiativen der Kreativen noch stärker gebündelt werden. Es sollte mit einer Stimme gesprochen werden; die Branche hätte eine größere Sichtbarkeit und Lobby verdient.
Interview: Ines Goldberg
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